Rezensionen
zum Sammelband Kommunikationswissenschaftliche Gender Studies

Ricarda Drüeke / Elisabeth Klaus / Martina Thiele / Julia Elena Goldmann (Hrsg.) Kommunikationswissenschaftliche Gender Studies Zur Aktualität kritischer Gesellschaftsanalyse Bielefeld: transcript, 2018. – 308 S.
(Reihe: Critical Studies in Media and Communication) € 30,90.
Mit diesem Sammelband blicken die Herausgeberinnen Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus, Martina Thiele und Julia Elena Goldmann auf den kommunikationswissenschaftlichen Zweig der Gender Studies. Die Beiträge geben einen breitgefächerten Überblick, der sowohl aktuellen Arbeiten in dem Bereich als auch der Lehre dienlich ist. Einerseits werden die grundlegenden Theoriedebatten der kommunikationswissenschaftlichen Gender Studies thematisiert, andererseits zeigen Medienanalysen die praktische Anwendung. Dabei versucht der Sammelband nicht nur aktuelle theoretische wie methodische Herausforderungen zu benennen, sondern bietet auch inspirierende Lösungsversuche, die über den Forschungszweig hinausweisen.
Der Sammelband kommt dabei feministischen Forderungen nach einer grundsätzlichen Diskussion über erkenntnistheoretische Herausforderungen und dem Potenzial kritischer Wissenschaft nach. So hat die theoretische Auseinandersetzung mit der Geschlechtskategorie die Binarität des Konzeptes grundlegend hinterfragt und damit zugleich die empirische Forschung insgesamt herausgefordert, die mit ihrem positivistischen Grundverständnis stets auf der Ebene der Erscheinungen ansetzt. Diese grundlegende erkenntnistheoretische Kritik wirft konzeptionelle wie empirische Fragen auf: Wie kann eine antikategoriale Wissenschaft aussehen? Wie kann die Reproduktion von Stereotypen in der Forschung verhindert werden (vgl. S.13)? Es sind diese, aus der feministischen Theorie ins Fach getragenen Debatten, genauso wie die zahlreichen weiteren mutigen, interdisziplinären Anleihen der hier versammelten kommunikationswissenschaftlichen Forscher* innen, die diesen Band für die gesamte Kommunikationswissenschaft relevant machen.
Im ersten Teil des Bandes wird grundlegend über die Möglichkeiten von Kritik nachgedacht. Das Kapitel spiegelt die Suche nach einer kritischen Haltung für die Reflexion der Gegenwart, die auch das Unsichtbare, die strukturell bedingten Unmöglichkeiten mitzudenken und „neue, demokratische Räume auszuloten“ vermag (S.15). Prominent beginnt dieser Teil mit dem grundlegenden Text Was ist Kritik? von Sabine Hark. In ihrem stark verdichteten Theorieaufsatz antwortet die Autorin bezugnehmend auf Butler auf die grundlegende erkenntnistheoretische Herausforderung der Gender Studies, eine theoretische wie empirische Alternative zur positivistischen Forschung zu entwickeln. Zunächst theoretisiert sie Macht, Wissen, Sein und Tun als einen Nexus, konzipiert also Vergesellschaftungs- und Denkformen als Teil desselben Herrschaftszusammenhangs. Anschließend stellt sie das Denken des Möglichen zentral. Das heißt: „Die Welt also nicht nur zu bedenken, wie sie ist und vorgibt, unabänderlich nur so sein zu können, sondern sie zu denken wie sie sein könnte“ (S.41, Herv. i. O.).
Zu nennen ist hier außerdem Tanja Maiers Beitrag zur Sichtbarkeitspolitik. Sie knüpft an Hark an, in dem sie den Fokus auf das „Anderswerden des Aufgeführten“ legt (S.80 bezugnehmend auf Seier). Deutlich wird, wie dem Sichtbarwerden und dem Sehen je Machtstrukturen eingeschrieben sind. Das Konzept der Sichtbarkeit bereichert die Repräsentationsforschung, da es seinen Fokus auch auf das Unsichtbare zu lenken vermag, ein bisher blinder Fleck der Journalistik.
Im zweiten Teil des Buches widmen sich die empirischen Beiträge neuen und alten gesellschaftlichen Geschlechterdiskursen und konstatieren u. a. eine Diskurserweiterung im anti-feministischen Spektrum, wie der Beitrag von Liesa Herbst eindrücklich aufzeigen kann. Ihre Analyse von fünf ausgewählten Sachbüchern zeigt, dass Re-Biologisierungen stattfinden, was bei der Auswahl der Bücher jedoch zu erwarten war. Der spannendere Teil ihrer Arbeit macht sichtbar, wie durch diese Re-Biologisierungen Vorstellungen einer natürlichen bzw. biologisch determinierten Geschlechterdifferenz reproduziert werden. Hervorzuheben ist weiterhin die tiefgründige theoretische Einführung in die speziellen Dynamiken neuer Öffentlichkeiten im Internet von Ricarda Drüeke, Dorina Pascher und Corinna Peil und ihrer anschließenden Untersuchung der Argumentationsstränge bzw. thematischen Schwerpunkte österreichischer Geschlechterdebatten im Netz.
Im dritten Teil des Buches suchen die Autorinnen nach Möglichkeiten der Teilhabe und Intervention in Medienpraxen. Besonders inspirierend ist dabei der Aufsatz von Elisabeth Klaus, welcher die Rolle von Kunst- und Kulturproduktionen für die Gesellschaftsanalyse, -kritik und demokratischen Wandel untersucht. Exemplarisch kann Klaus verdeutlichen, wie kritische Kunst- und Kulturproduktionen in Selbstverständigungsprozesse der Gesellschaft intervenieren können. „Sie sind damit ein notwendiger und integraler Bestandteil von Protestöffentlichkeiten, die die herrschende Ordnung in Frage stellen, destabilisieren und neue Repräsentationspolitiken erproben“ (S.182).
Der vierte Schwerpunkt liegt auf Konstruktionen sozialer Ungleichheit in unterhaltenden Medienangeboten. Brigitte Hipfl verbindet in ihrem Aufsatz zwei Ansätze mit großem Potenzial für die kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Einerseits setzt sie sich mit Prekarität und Prekarisierung auseinander und trägt damit fruchtbare Debatten von Butler, Athanasiou, Lorey und anderen ins Fach. Außerdem benutzt Hipfl das Konzept kollektiver Gefühlsstrukturen und versteht damit den Tatort, von dem sie eine Folge exemplarisch untersucht, als „kulturelles Forum“, welches „spezifische Gefühlsstrukturen zum Ausdruck bringt“ (S.241).
Vom Geleitwort der Salzburger Landesrätin Martina Berthold (GRÜNE), die sich „noch entschiedener als vor einigen Jahren“ eine Feministin nennt, bis zu den Reminiszenzen, die mit einem Essay von Gertrude Joch Robinson aus dem Jahr 1994 die Traditionslinien der Geschlechterforschung aufzeigen, ist dieser Sammelband relevant und aktuell, dabei leidenschaftlich, ja in Teilen sogar persönlich und vor allem interventionistisch, kämpferisch, notwendig! Das lesenswerte Buch wird von der Reihe Critical Studies in Media and Communication herausgegeben. In dieser Reihe beschäftigen sich Autor*innen seit 2009 mit der Frage, wie sich gesellschaftliche Dominanzverhältnisse in Medienkulturen reproduzieren, aber auch damit, wie diese verschoben oder unterlaufen werden können.
Zur Notwendigkeit kritischer Gesellschaftsanalyse
Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher und kultureller Wandlungsprozesse – Stichworte u. a. Neoliberalismus, Prekarisierung, Digitalisierung – und damit einhergehender Spaltungen und Ausgrenzungen, in die Fragen von Öffentlichkeit und medialer Teilhabe stark involviert sind, befragt der vorliegende erweiterte Sammelband zur Tagung „Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung als kritische Gesellschaftsanalyse“ (vgl. STICHWORT-Newsletter 41/2016) Bedingungen kritischer Wissensproduktion und ihren möglichen Beitrag zu gesellschaftlicher Veränderung.
Einen Schwerpunkt des Bandes bilden daher theoretische Reflexionen zu Grundlagen von Kritik, Dissens und Widerstand, zu Bedingungen engagierter Wissenschaft und Entwicklungen der (kommunikationswissenschaftlichen) Frauen- und Geschlechterforschung. Diskutiert werden weiters für Teilhabe und Öffentlichkeitsprozesse zentrale Konzepte wie Sichtbarkeit oder Citizenship. Exemplarische empirische Analysen beziehen sich zum einen auf problematische Effekte aktueller Geschlechterdiskurse u. a. am Beispiel der Re-Biologisierung von Geschlecht in populären Sachbüchern und von Antifeminismus im Internet anhand österreichischer Debatten zur sprachlichen Gleichbehandlung. Zum anderen untersuchen sie in intersektionaler Perspektive verschiedene Unterhaltungsformate (Fernsehkrimi, Doku-Soap und Kinofilm) als zentrale Orte der Verhandlung sozialer Positionierungen, vergeschlechtlichter Lebensverhältnisse und gesellschaftlicher Problemfelder.
In ihrer Einleitung kontextualisieren die Herausgeberinnen die thematisch breit gefächerten Beiträge und betonen Anspruch und Bedeutung der (kommunikationswissenschaftlichen) Geschlechterforschung – insgesamt gerade angesichts rezenter Angriffe auf die Gender Studies eine wichtige Intervention.
Dr. Brigitte Geiger ist Medien- und Kommunikationswissenschafterin und Universitätslektorin mit dem Schwerpunkt feministische Öffentlichkeit und Medien. Sie ist Mitbegründerin und Obfrau von STICHWORT.